Sonntag, 18. September 2022 - 15:00 Uhr

Kirche San Francesco d'Assisi

Via San Francesco d'Assisi 11

Torino 

14. Sonntag nach Trinitatis Festgottesdienst mit Abendmahl, Einführung von Pfarrer Tobias Brendel

Jesaja 12,1-6

I

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!

Unser Sonntag steht unter dem schönen Wochenspruch aus Psalm 103: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Es geht heute ums Loben und Danken, und das passt doch hervorragend zu diesem Tag. Er ist in vielerlei Hinsicht ein Anlass, Gott zu danken, ein Anlass dafür, nicht zu vergessen, was Gott uns Gutes getan hat.

Ein paar Beispiele:

Ihr Turiner werdet froh sein: für eine sehr schöne und reiche Zeit von 12 Jahren mit Pastor Heiner Bludau und seiner Frau Annette. Und nun habt Ihr mit mir einen Nachfolger für die Pfarrstelle gefunden.

Ihr meine und unsere lieben Gäste aus Franken, die Ihr so zahlreich den weiten Weg aus Deutschland gekommen seid, Ihr freut Euch, dass Ihr diese Fahrt unternehmen und diesen Gottesdienst zu meiner Einführung erleben könnt.

Und ich blicke mit großer Dankbarkeit auf meine mehr als 13 Jahre in Franken zurück und nun auch voraus auf 6 Jahre in Turin. Auf die freue ich mich und halte sie für keine Selbstverständlichkeit.

So haben viele von uns heute Grund zu danken für die Gaben, die Gott uns geschenkt hat.

Nun führt uns unser heutiger Predigttext allerdings auf eine Gabe hin, die ich die allerhöchste bezeichnen würde, die wir je empfangen können: keine äußerliche Gabe wie einen neuen Pfarrer, eine schöne Fahrt, eine interessante Pfarrstelle – sondern: Gott selbst als Gabe, Gott in Person als Gabe, die Beziehung zu ihm als Gabe. Gott könnte sich uns ja verweigern, dann hätten wir keinerlei Gabe aus seinen Händen, dann hätten wir gar nichts. Heute soll uns deutlich werden, wie es das Schönste und Größte und Beste ist, Gott selbst als Gabe zu haben.

Unser Predigttext spricht in den höchsten Tönen von diesem Glück. Er ist ein Psalm, ein Gebet des Volkes Israel. Wir hören aus dem Buch des Propheten Jesaja, also aus dem Alten Testament, im 12. Kapitel:

II

Haben wir es gehört? Hier geht es nicht um irgendeine äußerliche Gabe. Hier geht es um Gott selbst: Gott mein Heil, Gott meine Stärke, Gott mein Psalm – und um das Glück, wenn er sich uns zuwendet, wenn er sich uns schenkt.

Aber dieser Psalm geht auch darüber, wie schlimm und schmerzhaft es ist, wenn all das ausbleibt, wenn Gott sich nicht zuwendet, wenn Gott sich uns entzieht.

Wir müssen wissen: Das Volk Israel spricht diese Worte nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft, in einer Zeit, die noch nicht da ist. Zu der Zeit wirst du sagen… bzw. Und ihr werdet sagen zu der Zeit…. Der Psalm spricht von einer Zeit, von einem Tag, der vom Volk Israel erhofft und herbeigesehnt wird, weil Gott ihn verheißen hat. Noch aber ist er nicht da. 

Noch ist die Gegenwart da, und sie ist gekennzeichnet mit dem kleinen Sätzchen: Du bist zornig gewesen über mich. Die Gegenwart ist: Gott ist zornig über Israel, weil es sich gegen ihn aufgelehnt hat. Gott hält gerade sein gerechtes Gericht über sein Volk. Gott entzieht sich seinem Volk. Das ist die Gegenwart.

Aber in dieser Situation erscheint nun wie ein Silberstreif am Horizont diese Zeit, dieser Tag, an dem Gottes Zorn sich wenden wird. Dann wird Israel sagen: Ich danke dir, HERR, das du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest.

Wie erdrückend es sein kann, unter Gottes Zorn und Gericht zu stehen, Gott nicht bei sich, sondern gegen sich zu haben, hat in besonderer Weise der Mann erlebt, den ihr alle kennt: Martin Luther. Lange Zeit war seine allerdrängendste Lebensfrage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Wie wird der zornige Gott, unter dessen Gericht ich stehe, weil ich vor ihm ein Sünder bin, der ihm seine Verehrung schuldig bleibt – wie wird diese zornige Gott mir gnädig? Wie das Volk Israel sehnte Martin Luther den Tag herbei, von dem Jesaja sagt: dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest. 

Martin Luther ging ins Kloster, um diesen Tag aus eigener Anstrengung herbeizuzwingen. Im Kloster wollte er vor Gott das vollkommenste Leben führen, das für ihn vorstellbar war. So wollte er Gottes Zorn stillen. Aber er fand keine Ruhe. 

III

Nun frage ich: Gibt es diesen Tag, an dem Gott seinen Zorn, sein Gericht, von uns Menschen wendet? Kennen wir, kennst du diesen Tag, an dem Gott uns vergibt, er sich uns schenkt und wir ganz sein eigen werden?

Israel war dieser Tag von Gott verheißen. An dem Tag wirst du sagen… Martin Luther wusste das und er wollte nicht eher ruhen, bis er diesen verheißenen Tag gefunden hatte. Aber im Alten Testament, etwa im Buch des Propheten Jesaja, fand er ihn nicht. Er fand ihn im Neuen Testament. 

Im Neuen Testament hören wir tatsächlich den Apostel Paulus diesen Tag über aller Welt ausrufen: „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils. (2. Kor 6,2)“ 

Nach Paulus brach dieser alles entscheidende Tag an, als Jesus Christus, der Sohn Gottes, auf Golgatha am Kreuz starb und am Ostermorgen von den Toten auferstand. Der Tag brach an, als Gott durch Jesus nicht nur die Verfehlungen des Volkes Israel auf sich selber nahm, sondern auch die eines Martin Luthers und auch meine und deine und die der ganzen Menschheit. Er brach an, als Jesus selbst das gerechte Gericht Gottes trug, das in Wahrheit dir und mir gilt. Da war der Tag da, von dem Jesaja gesagt hatte: dass dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest.

Als Martin Luther diesen Tag im Neuen Testament entdeckte, sagte er, es sei für ihn so befreiend gewesen, als wäre er ins Paradies selbst eingetreten. Nun wusste er: Gott ist mir gnädig – durch Jesus.

Ganz ähnlich lautet die Reaktion auf Gottes Gnade in unserem Psalm. Wir hören Worte voller Glück: Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Das sind Worte über ein Wunder, über etwas, das sich ganz und gar nicht von selbst versteht: Gott, den wir so oft vergessen, von dem wir uns so oft abwenden, den wir so oft von seinem Thron stürzen und der uns darum zu Recht als seine Feinde und als Sünder richtet – dieser Gott hält uns für so wertvoll und teuer, dass er uns nicht aufgibt, sondern die Sünde erlässt, uns freispricht und uns mit sich vereint. Und als Christen fügen wir das Unaussprechliche hinzu: indem Gott dazu seinen Sohn Jesus für uns opfert. Nur wer verstanden hat, dass Gottes Vergebung ein Wunder ist, nur der versteht wirklich, was es heißt: Gott du meine Stärke, mein Psalm, mein Heil!

In unserem Psalm gibt es nun kein Halten mehr. Nachdem Gott angeredet ist – meine Stärke, mein Psalm, mein Heil – muss sich das innerliche Glück derer, die da reden, Bahn brechen und hinausgerufen werden in die Welt. Es bricht in unserem Psalm ein Jubel und Lobpreis aus – und alle Gläubigen werden aufgefordert einzustimmen: Danket dem HERRN… Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen… Jauchze und rühme, die du wohnst auf Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir! So ist das, wenn ein Mensch begriffen hat, was Gott an ihm getan hat. 

Auch Martin Luther konnte nicht an sich halten, sondern er dichtete überschwänglich:     

„Nun freut euch, lieben Christen g'mein,

und lasst uns fröhlich springen,

dass wir getrost und all in ein

mit Lust und Liebe singen,

was Gott an uns gewendet hat

und seine süße Wundertat;

gar teu'r hat er's erworben.“

Ich wünsche Dir, dass auch Dir Gottes Handeln, eben weil es auch DIR gilt, ganz und gar zu Herzen geht und Du staunend vor ihm stehst und Du Dein Glück nicht begreifen kannst, welch einen gnädigen Gott Du hast. Er schenkt Dir nicht irgendetwas, sondern er schenkt Dir seinen Sohn Jesus, er schenkt Dir – sich selbst. Etwas Größeres gibt es nicht.

IV

Was folgt nun aus alledem? Ein Zweifaches folgt daraus: einmal dass wir tatsächlich aus Gottes Vergebung leben, sie im Leben wirksam werden zu lassen – und dann dass wir die Botschaft von der Vergebung Gottes in die Welt tragen, damit sie Menschen, die Gott nicht kennen, zu neuem Leben befreit.

Wenn ich heute als Pfarrer dieser Gemeinde eingeführt werde, so schlägt mein Herz genau für dieses Zweifache. Einmal bin ich gewiss, dass Gott in dieser Gemeinde lebt und in ihr wirkt. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“, sagt Jesus. Ja, die Kirche, die Gemeinde ist der Ort auf Erden, an dem Gott durch Jesus unter uns gegenwärtig ist. Darum möchte ich gerade hier in dieser Kirche, aber auch in den Häusern, in denen Ihr lebt, mit Euch zusammen das tun, was unser Psalm so sagt: „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils.“ Das heißt, ihr werdet aus Gottes unerschöpflicher Vergebung leben und durch ihn euer Leben erneuern lassen. Das will ich gerne mit Euch tun. Wie das gehen kann, sehen wir, wenn wir auf das Zweite achten, das der Psalm uns sagt. 

Nämlich: Das herrliche Tun Gottes an seinem Volk, seine Vergebung, muss hinausgetragen werden in alle Welt: Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! Das soll heißen: Die überfließende Vergebung Gottes, die Wasser seiner Heilsbrunnen, von denen wir als Christen trinken, die sollen wir zu den Menschen tragen, dass ein jeder von ihnen davon trinken kann.

Wisst Ihr, wer genau das vorbildlich getan hat? Ich habe von Martin Luther geredet, und das ist bei einem lutherischen Gottesdienst naheliegend. ABER: Wir feiern diesen Gottesdienst in dieser schönen und geschichtsträchtigen Franziskanerkirche, die zur katholischen Domgemeinde gehört. Wir dürfen sie nicht nur heute, sondern regelmäßig sonntags für unsere Gottesdienste nutzen, wofür wir sehr dankbar sind. So sei nun auch Don Bosco erwähnt, dieser große Turiner, der in der katholischen Kirche weltweit als Heiliger verehrt wird. Hier in dieser Kirche hat er seine erste Messe gefeiert und mit seiner großartigen Arbeit unter Jugendlichen begonnen hat. Hier hat er in den Messfeiern aus Gottes Heilsbrunnen das Wasser der Vergebung geschöpft – und dann hat er es aus der Kirche hinausgetragen, hin zu denen, die ihm von Gott anvertraut waren.

Noch in meinen letzten Tagen auf meiner früheren Pfarrstelle in Dürrenmungenau, im vergangenen August, besuchte mich ein katholischer Priester im Ruhestand, Kurt Gartner, über 80 Jahre alt, wohnhaft im Abenberger Seniorenzentrum, einige von Euch aus Franken werden ihn kennen. Er ist in der Jugendarbeit der Salesianer groß geworden, die auf Don Bosco zurückgehen. Er erzählte mir am Kaffeetisch mit leuchtenden Augen, wie Don Bosco seine Arbeit begonnen hat, nämlich indem er ins Gefängnis ging und den jungen Leuten dort die Beichte abnahm.

Ich verstehe das so: Don Bosco ließ diese Jugendlichen, von denen viele mit Schuld belastet waren – mit Schuld an sich selbst, an anderen, an Gott –, er ließ sie aus den Brunnen des Heils Wasser schöpfen, er ließ sie die Vergebung Gottes kosten wie ein herrliches Lebenselixier – so dass ihr Leben wieder neu werden konnte, sie wieder Hoffnung bekamen und – so müssen wir uns das vorstellen – dass sie ihr Leben auf einmal in Gottes Dienst stellten und von nun an für ihn lebten. Das richtet die Vergebung Gottes aus, das ist ihre Kraft. Und das heißt es, aus ihr zu leben. Bei Don Bosco wurde aus der Kraft der Vergebung Gottes eine weltweite Bewegung.

Nun sollte ich wirklich zum Ende kommen. Sicherlich sind manche von Euch mit ihrer Konzentration langsam am Ende. Aber um einen Satz komme ich nicht herum und sollte einen Namen noch erwähnen: den Begründer und Namensgeber dieser altehrwürdigen Kirche, den heiligen Franz von Assisi. Warum? Weil auch er genau das tat: das Heil Gottes hinaustragen in die Welt. Er trug es zu den Gebrochenen, Kranken und Sterbenden – ja sogar den Tieren predigte er das Evangelium.

Es ist ein Glück, dass wir als lutherische Gemeinde mit denen, die vor uns waren – mit Franziskus und Don Bosco –, verbunden sein dürfen und wir mit ihnen hier in der Franziskanerkirche teil haben an Gottes Wirken an seinem Volk. Hier ist der Heilige Israels groß bei uns, wie es der Psalm sagt, und von hier aus verkündigen wir den Menschen, wie sein Name so hoch ist!

Nun schließe ich mit den Worten, mit denen ich diese Predigt begonnen habe. Hört die Worte unseres Wochenspruches (Psalm 103):

„Lobe den Herrn, meine Seele, 

und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“   

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“

Pfarrer Tobias Brendel