Reformation und Politik - ELKI‐Tag 2014 in Rom rückwärts erzählt


Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne.  Erlöster müssten mir seine Jünger aussehen.     

(Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Von den Priestern)

Während ihrer klugen Predigt beim Festgottesdienst in der Christuskirche ermutigte Margot Kässmann alle Anwesenden, Nietzsche durch ihr Auftreten zu widersprechen, indem wir einfach mal „erlöster“ aussehen sollten, gerade weil wir Christen sind und auf Gott vertrauen können. 

Gerade daran ließe sich festmachen, warum die Reformation insgesamt ein Grund zum Feiern sei, obwohl als Nebenprodukt eine Kirchenspaltung dabei herausgekommen ist.

Christuskirche in Rom beim Abschlussgottesdienst des ELKI-Tags 2014
Christuskirche in Rom beim Abschlussgottesdienst des ELKI-Tags 2014

Die theoretische Grundlage für einen anregenden ELKI-Tag wurde am  Samstagvormittag bereitet.

Den Anfang machte Fulvio Ferrario, Waldenser und Professor am Melanchton-Zentrum, mit seiner Bibelarbeit zu Römer 13. Er half uns Laien dabei, eine häufig falsch verstandene und noch häufiger missbrauchte Bibelstelle zeitlich und kulturell einzuordnen, um ursprüngliches Thema und Absicht des Paulus‘ erkennen zu können.


Wer den Aufruf zu Gehorsam gegenüber dem (weltlichen) Herrscher losgelöst von der Qualität des einzelnen Herrschers als notwendig zur Eindämmung der sonst gewaltsamen, unberechenbaren menschlichen Natur betrachtet, erkennt, dass  es hier tatsächlich um das Allgemeinwohl geht und nicht um Rechtfertigung für Unterdrückung. In diesem Zusammenhang waren sich beide Redner einig, dass Steuern als solche diesem Gemeinwohl dienen.

Neben einigen vergnüglichen Ausführungen zum Reformationsjubiläum 2018 knüpfte dessen Botschafterin, Margot Kässmann, als zweite Rednerin des Tages an die gedankliche Weiterentwicklung des Römerbriefs in der Reformationszeit und bis in unsere Tage an. Zunächst stellte sie Luther als Kind seiner Zeit dar, der im 16. Jahrhundert zusammen mit anderen im Glauben und in anderen Bereichen (Beispiel Kopernikus) Überlegungen anstellte, die das damalige Weltbild kräftig ins gerieten ließen. Als „lernfähige   Kirche“ ist es möglich, Luthers unzweifelhafte Errungenschaften als  solche anzuerkennen, aber auch seine Schattenseiten anzunehmen  und unsere Lehren daraus zu ziehen. Migration als Bereicherung und ein  stärkeres Engagement für den Frieden vor dem Krieg als Ultima Ratio gehörten hier zu den Kernpunkten einer zeitgemäßen Kirche.


In den anschließenden Workshops wurden einzelne Aspekte des Themas „Reformation und Politik“ vertieft. Die Besucher und Besucherinnen des ELKI-Tags hatten die Qual der Wahl, denn viele hätten eigentlich gern mehrere der Workshops besucht. Wer nicht die Arbeitssprache als Kriterium zu Hilfe nahm, entschied sich für eines der interessanten Angebote und dem Vernehmen nach fand jeder etwas Passendes. Unsere Gemeinde war durch Ezio Alessandro Susella della Rocca mit einem Workshop über Kirche und Politik in Italien vertreten. Ich hatte mich für Pastor Friedrichs Workshop „Das politische Lied im Gesangbuch“ entschieden und kann künftig mit neuem Bewusstsein an unseren Liederschatz herangehen.

Nach dem Mittagessen standen die verschiedenen Ausflüge in Rom auf dem Programm, für die wir uns schon vor Wochen eingeschrieben hatten.  Zu Recht hatte das Vorbereitungsteam dem Wunsch entsprochen, bei einer Veranstaltung in Rom auch etwas von der Ewigen Stadt jenseits der Transportmittel zu Gesicht zu bekommen. Das ELKI-Tag-Motto eignete sich auch ausgesprochen gut, um das Kolosseum, die Engelsburg, die Katakomben oder Paulus in Rom daran festzumachen. 

San Paolo fuori le Mura - Roma
San Paolo fuori le Mura - Roma

Vor Ausklang des ereignisreichen Samstags beim Abendessen im Restaurant lauschten wir noch Felicia Friedrich (Gesang) und Gregory Gaynair (Klavier) bei der Kombination einiger Psalmentexte mit unerwarteten Musikgenres (darunter auch ein Tango!) und weiteren modernen Interpretationen geistlicher Lieder. 

Seit wir am Freitagnachmittag bei der Deutschen Schule Rom angekommen waren, gab es immer wieder Gelegenheit, sich mit zahlreichen alten und neuen Freunden aus allen Himmelsrichtungen auszutauschen. 

Ich kenne mittlerweile so viele ELKI-Menschen, dass ich es noch nicht einmal geschafft habe, sie alle zu begrüßen und sämtliche Stände aufzusuchen. Ein gutes Zeichen!  


Stände gab es nicht nur von den Gemeinden, sondern auch vom Frauennetzwerk, von den Krankenhäusern Villa Betania und Ospedale Evangelico Internazionale di Genova, von der SOGIT Johanniter), den Waldensern, der Claudiana und dem Melanchton-Zentrum. 


Woran auch immer es gelegen haben mag: Bei seiner dritten Ausgabe gelang die Mischung des ELKI-Tags besonders gut. Das Programm war ausgewogen, hochkarätig, ohne zu überfordern, abwechslungsreich, sprach insgesamt alle Generationen und Sinnesorgane an, Geschmackssinn inklusive beim ELKI-Büffet mit  Beiträgen aus  allen Gemeinden. 

Für unseren Pastor war es der erste überregionale „Auftritt“ als Dekan seit seiner Wahl bei der diesjährigen Synode – das positive Feedback kam unaufgefordert von vielen Seiten. Schon der Begrüßungsgottesdienst ließ ahnen, dass die Gemeinden und die einzelnen Menschen (wieder) stärker einbezogen werden sollen. Die Anregung, etwas „Gutes“ aus der eigenen Stadt oder Gegend vorzustellen, brachte prompt originelle symbolische und ganz konkrete Beiträge hervor. 

Wir alle wussten die Ergebnisse der guten Vorbereitung sowie die lockere und doch herzliche Atmosphäre zu schätzen und freuen uns schon auf den nächsten ELKI-Tag, der in zwei oder drei Jahren stattfinden wird. Annette, Christine, Ezio, Fabio, Gianluca, Heiner, Katia, Livia, Ulrike und ich würden wohl gern wieder mit von der Partie sein – vielleicht bekommen wir noch Verstärkung? 

Sabine Wolters



Der obige Artikel erschien ursprünglich in der Winterausgabe (Dezember 2014 bis Februar 2015) unseres Gemeindebriefs NOI-WIR. Alle Fotos stammen von Sabine Wolters.